Durch das Gewicht welchem dem ” Kollektiven Unbewussten” zugeordnet wird und anderen reizvolle Themen, übersehen die meisten Leser wahrscheinlich die Tatsache, dass C.G. Jung ein guter Kantianer war. Seine berühmte Theorie der „Synchronizität” welche nicht-kausale Zusammenhänge beschreibt, basiert auf Kant’s Unterscheidung zwischen Phänomenen und der abstrakten „Ding-per-se“, und auf Kant’ s Theorie, das Kausalität im Falle „Ding-per-se“, auf eine andere Weise wie bei den eigentlichen Phänomenen abläuft. Seit Aristoteles wird zwischen dem unterschieden, was einer Sache nur aufgrund äußerer Umstände und an sich (per se), aufgrund einer inneren Notwendigkeit, zukommt. Dem Ding an sich kommen nach Kant nicht die Erkenntnisformen des Subjekts zu, z. B. Raum und Zeit. So könnte Kant Willensfreiheit (unbedingte Ursachen) beim„Ding-per-se“, zulassen, wie Jung Synchronizität” zulässt (” sinnvolle Zufälle “). Jung’s Verständnis in der Kant’schen Tradition ist allerdings auf einer Seite, die Kant vermutlich unangenehm gewesen sein würde, da Kant’s Systeme im Allgemeinen rein rationalistisch waren. So sah Kant Religion nur als typisch rationaler Ausdruck des Sittlichkeitsgefühls. Das Erschrecken und die Faszination durch Elemente der Religion und des gewöhnlichen Lebens sind ist bei Kant zu spüren. Jung’ s große Antwort auf Hiob Job stellt dagegen eine einzigartige Annäherung zur Religion dar. C.G. Jung’s Kantverständnis ermöglicht ihm, den Materialismus und den Reduktionismus von Freud zu vermeiden.
„Das Werk von Kant “Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ (1793) zeigt aufbauend auf seinen beiden Hauptwerken „Kritik der reinen Vernunft“ und Kritik der praktischen Vernunft“: Von Gott kann vernünftig und für alle Menschen nachvollziehbar vor allem im Rahmen der praktischen Vernunft, also der Ethik, die Rede sein.
Kant betont, dass im Anruf des Sollens (also im Gewissen) erfährt der Mensch, jeder Mensch, einen unbedingten Anspruch, gut sein zu sollen. Dieser Anruf des Sollens führt zur freien Stellungnahme. Im Gewissen erlebt der Mensch eine fordernde Situation, so, als ob Gott spräche und wie ein Richter über die gute Entscheidung urteilt.
„Alles, was außer dem guten Lebenswandel der Mensch noch tun zu können vermeint, um Gott wohlgefällig zu leben, ist bloßer Religionswahn und Afterdienst Gottes“. (ebd.)
Allein das in uns vorhandene und entdeckte, unbedingt geltende moralische Gesetz (Kategorischer Imperativ) ist auch die Quelle des Glaubens. Dem Kategorischen Imperativ zu entsprechen (aus Pflicht), ist darum der wahrer Gottesdienst. Der kategorische Imperativ ist ein Kriterium für alle, jeder kann prüfen, ob seine Lebenseinstellung, seine Maxime, gut und wertvoll ist. Nur in dieser vernünftigen Prüfung wird die Menschheit ihrem Ziel näher kommen, nämlich der Gerechtigkeit, dem Frieden, der Freiheit für alle – in einer herrschaftsfreien Gesellschaft, natürlich auch ohne Klerus – Herrschaft.
Den Kern der Religion bildet nur der “moralische, die Seele durch Vernunft bessernde und erhebende Glaube”. Der Kirchenglaube, darf nicht selbst zum Glaubensartikel gemacht werden.
“Glaubenssätze, welche zugleich als göttliche Gebote gedacht werden sollen, sind nun entweder bloß für uns zufällig und als Offenbarungslehren, oder moralisch, mithin mit dem Bewusstsein ihrer Notwendigkeit verbunden und a priori erkennbar, das heißt Vernunftlehren des Glaubens. Der Inbegriff der ersteren Lehren macht den Kirchen-, der anderen aber den reinen Religionsglauben aus.” (ebd.)
Der “reine Religionsglaube” allein hat “Anspruch auf Allgemeingültigkeit (catholicismus rationalis)”. Kant protestiert gegen willkürlich festgesetzte religiöse Gebote und Verbote und beliebig festgesetzte Glaubensregeln, die das Leben des Frommen bestimmen sollen. Darin zeigt sich für Kant nur menschliche Willkür, die in der wahren Gottesverehrung nichts zu suchen hat. So sieht auch Kant die religiösen Texte, etwa die Bibel, als historisch überlieferte Offenbarungen, die als historische Erzählungen keinen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit haben können.
Gott ist Kant für Kant – frappierend ähnlich wie bei C.G. Jung und gegensätzlich zugleich, Idee, “in uns”, “in der moralisch-praktischen Vernunft …, aber nicht als ein Wesen außerhalb der Menschen. “Gott ist nicht eine Substanz, sondern die personifizierte Idee des Rechts und Wohlwollens”. Jung versteht hingegen Religion als die Einstellung der menschlichen Psyche gegenüber dem Heiligen, das in der Tiefe der menschlichen Seele zu finden ist.
Nach Kant ist Gott “nicht Substanz außerhalb meiner Gedanken”, “nicht ein Wesen außer mir, sondern bloß ein Gedanke in mir”. Kantlexikon. Kant kann sich Jesus Christus als Gestalt des vollkommenen Menschen (außerhalb von uns eigenständig lebend) vorstellen. Wichtiger ist für Kant, Jesus als ein inneres Ideal wahrzunehmen, das uns inspiriert.
Für Jung ist Gott, der Archetypus “Gott”, nicht nur der Gott der Christen, sondern dieses Göttliche in uns, dieser göttliche Kern in uns, unserem Selbst. Für Jung ist Gott viel größer, das geheimnisvolle im Unbewussten in jedem von uns, das wir nicht greifen können, das wir nicht fassen können
Für Jung ist jeder Mensch absolut religiös im innersten Kern, und die Probleme, die vor allem in der Zeit der Lebensmitte auftreten, sind in Jungs Augen häufig darauf zurückzuführen, dass der Mensch den Bezug zum Unbewussten und damit zum Religiösen verloren hat. Und damit meint er jetzt nicht unbedingt den Bezug zu seiner Konfession, zu seiner Kirche, sondern den Bezug zu dem, was Jung Gott nennt, dieser unbewusste Teil in uns, der spirituell ausgelegt ist.
Im Blick auf die vielfältigen Erscheinungen des Religiösen wählt Jung stets die psychologische und empirische Perspektive. Er vertritt aber nicht den Standpunkt eines Glaubenden.
Beide waren nicht unbedingt vom Nutzen einer kirchlichen Institution überzeugt. Kants Hoffnung ist, dass eines Tages die Menschen auf Erden friedlich vereinigt sein werden, wenn sie den Tugendgesetzen folge. Der dogmatische Kirchenglaube wird verschwinden, es wird nur der ethisch reine Glaube übrig bleiben. Die moralische Religion, gegründet auf die Ethik, kann allen Menschen als nachvollziehbar vorgelegt werden. Alle Menschen als Wesen der Vernunft können diese philosophische Erkenntnis leisten.So wird das zentrale Anliegen Kants gelöst: Den Menschen aus Fremdbestimmungen, bloßem Autoritätsglauben, zu befreien. Wenn Gott in mir spricht, gibt es keine Fremdbestimmung, meint Kant. Nur moralisches Leben ist Gottesdienst: „Andachtsübungen und Liturgien bewirken nicht das ethisch gute Leben”
Jung sagt ähnlich, “Insoweit wir erkennen können, ist der einzige Zweck des menschlichen Bestehens, ein Licht im Dunkel des bloßen Seins anzuzünden. Es kann sogar angenommen werden, dass wir, also die Zunahme unseres Bewusstseins das Unbewusste beeinflussen”. [P. 326] Jedoch geht Jung eigentlich weiter: Bewusstsein als sinnhaftes etablieren des Bestehens geschieht durch den Prozess der Individuation.
Vonseiten christlicher Philosophie und Theologie wird die autonome Ethik Kants relativiert. Der katholische Theologe Hans Kessler (Frankfurt M.) schreibt: „Doch ist – etwa wenn Einsatz für Fremde mit eigenem Verzicht und schweren Einbußen verbunden ist – die Motivationskraft einer philosophischen Ethik nicht so stark wie die einer religiös, zumal einer monotheistisch begründeten Ethik. … Viele Texte im Neuen Testament laden zu einem altruistisch – zuvorkommenden Handeln ein, weil der Not leidende Mensch es braucht, etwa im Gleichnis vom barmherzigen Samariter und weil ich selbst schon grundlos – unverdient Güte (von Gott) empfangen habe. Diese Dankbarkeit ist die eigentliche Motivation einer an Jesus orientierten Ethik.“ („Wiederkehr des Atheismus“, Herder Verlag 2008).
Die Rezeption von C.G. Jung in der katholischen Kirche, z.B, der tiefenpsychologischen Exegese ist wesentlich wärmer, aber nicht ohne Grenzen. Ein wesentlicher Vertreter ist Eugen Drewermann, ein katholischer deutscher Theologe, suspendierter Priester, Psychoanalytiker, Schriftsteller der sich mit regelmässigen anti-katholischen und anti-westlichen Rundumschlägen profiliert. Der damalige Kurienkardínal und heutige Papst Beinidikt der XVI. wies den Paderborner Erzbischof an, Maßnahmen gegen Drewermann einzuleiten. Ich kenne genauso, zwei bemerkenswerte und in der katholischen Kirche hochangesehende Bendiktiner die auch Jungianer sind.