Dass das Christentum, seine Institutionen und viele theologische Deutungs- und Reflexionsmodelle keineswegs originär, sondern vorchristlicher und außerchristlicher Herkunft sind, bedeutet keineswegs eine Wertminderung der christlichen Religion. Wenn man genauer hinsieht muss man das Christentum in den ersten Jahrhunderten bis zum ersten Jahrtausend insbesondere in Asien und Nahost ja wesentlich weiter fassen, als dies das die europäische (römisch katholische) und die bzantinische (orthodoxe) Staatskirche erlaubte und überlieferte. Das Unternehmen von C. G. Jung löst jedoch Missbehagen aus: Was hat die Psychologie bei Glaubenswahrheiten zu suchen?
Die vorchristlichen Trinitäten
Vorchristliche Parallelen des religionsgeschichtlichenArchetypus der Göttertriaden finden sich in Babylonien, (Sin, Schamasch und Ischtar), der ägyptischen Königstheologie (Osiris, Isis, und Horus) mit Vatergott Re und seinem Sohn dem Pharao sowie in Platons Spekulationen (Timaios). In der alexandrinischen Philosophie des letzten vorchristlichen Jahrhunderts, die aus der Verbindung platonischer und jüdischer Lehren entstand, treten zwei andere göttliche Gestalten zu Jahwe: Logos und Sophia, welche mit Gott eine Trias bilden. Der Islam hingegen verurteilt sowohl die Trinitätslehre als auch die Anbetung Jesu und seiner Mutter Maria.
Die christliche Trinitätslehre
Betrachten wir die Bibel im Blick auf die Dreieinigkeit Gottes, so ist zunächst festzustellen, dass sich der Begriff “Dreieinigkeit” oder “Trinität” nirgends findet. Der Begriff wurde vermutlich erst von Theophilus von Antiochia um 180 n. Chr. geprägt. und von Tertullian bald darauf ausgestaltet. Dass der Begriff nicht vorkommt, schließt aber keineswegs aus, dass die Sache, die der Begriff zusammenfasst, an vielen Stellen der Heiligen Schrift deutlich zum Ausdruck gebracht wird. Die Lehre von der Dreieinigkeit kann so formuliert werden: Es existiert ein einziger wahrer Gott (Monotheismus). Dieser wirkt und offenbart sich als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Der Vater ist Gott, der Sohn ist Gott, der Heilige Geist ist Gott – wesenseins existierend, und doch in drei Personen offenbar. Jesus Christus hat während seiner irdischen Existenz zwei Naturen besessen: wahre Göttlichkeit und wahre Menschlichkeit. Durch sein Menschwerden offenbart Gott sein Geheimnis, eine dieser Offenbarungen ist der Heilige Geist, die ewige, dem Vater und Sohn gemeinsame Lebenstätigkeit. Der Geist der ersten Christengemeinden war, der Art und Zeit ihrer Entstehung entsprechend, mystisch. Die Vorstellung vom Heiligen Geist, der ursprünglich bloß eine Kraft oder Eigenschaft Gottes war, wurde allmählich zur Vorstellung eines besonderen, aber Gott untergeordneten, Wesens erhoben. Inhaltlich liegen den vorchristlichen wie der christlichen Trinität archetypische Vorstellungen zugrunde. Zur Zeit der Gnosis, welches im weitesten Sinne, aus der das Christentum hervorgegangen ist, hebt der Heilige Geist die Zweiheit, den “Zweifel” im Sohne auf, er ist das Dritte, das die Einheit wiederherstellt. Eine erstaunliche Stelle ist dazu bei Johannes 14. Dort richtet der Herr Jesus seine Abschiedsrede an seine Jünger und tröstet sie mit den Worten: „Ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Sachwalter geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit, den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie ihn nicht sieht noch ihn kennt. Ihr [aber] kennet ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.”
Die Jungsche Deutung der Trinität
Jung deutet hier zunächst, von Platon und gnostischer Spekulation ausgehend, die Dreiheit im Sinne eines psycholischen Bewusstseinswerdungprozesses. Alle numinosen Erfahrungen, also vom Wirken und den Willen einer Gottheit, sind außerbewußte Erfahrungen. C. G.Jung gebraucht hier den Begriff des kollektiven Unbewußten. Christus war jene kollektive Gestalt, welche das zeitgenössische Unbewußte erwartete und in dieser Ganzheit ist Christus auch dem Symbol des Selbst zugeordnet. Ziel der psychologischen Entwicklung ist die Selbstverwirklichung. Weil aber der Mensch sich nur als Ich kennt, das Selbst aber unbeschreibbar und vom Gottesbild kaum zu unterscheiden ist, “bedeutet die Selbstverwirklichung in religiös-metaphysischer Sprache die Inkarnation Gottes” (171); Gott verwirklicht sich im Menschen. Das Ich leidet dabei die Aufnahme analog zur Passion Christi. Auf dem Weg zur Verwirklichung seiner Ganzheit kontaktiert das menschliche Ich infolge der Integration des Unbewußten in das Bewußtsein, in den “göttlichen Bereich.” Das Christusleben ist somit Symbol für das bewußte und unbewußte spirituelle oder psychologischer Transformation des Menschen.
Die Jungsche Deutung der Quaternität
Eine Trinität “Vater, Mutter, Sohn” wäre natürlicher, was auch der frühchristliche Gnostizismus anstrebte. Für C.G. Jung enthüllt sich die Trinität als ein Symbol, welches göttliches u n d menschliches umgreift. Der christlichen Trinität wird alles Gute zugesprochen, alles Böse und Unvollkommene aberkannt. Nun gibt es aber in der Christlichen Lehre auch bemerkenswerte Quaternitäten und diese ist bei C.G. Jung zentral. Die Quaternität ist ein “Ordnungsschema par excellence” (vgl. Jung, GW 9/2, 381) und ein wesentlicher Aspekt seiner Ganzheitssymbolik: “Die ideale Vollständigkeit ist das Runde, der Kreis, aber seine natürliche minimale Einteilung ist die Vierheit.” (Jung, GW 11, 246). Nun erkennt der katholische Glauben dem Bösen ebenfalls Persönlichkeit zu, das wäre eine Quaternität. Im Falle Hiobs handelt Satan nach eigenem, Ermessen und vermag sogar Gott zu beeinflussen. Als Widersache Christi ist der Satan bei C. G. Jung in „Antwort auf Hiob“ konsequenterweise ebenfalls “Gottessohn” zusammen mit dem fast als Demiurge beschriebenen Yahwe und seiner Frau Sophie. Die wichtigste Quaternität in der christlichen Lehre ensteht durch die besondere Stellung von Maria. In seinen religionspsychologischen Überlegungen setzt sich Jung mit dem Archetyp der Trinität (Triade) auseinander und ist der Meinung, dass in der christlichen Trinitätsvorstellung Maria als Viertes ürsprünglich fehlte bzw. ins Unbewusste verdrängt wurde. Die christliche Religion hat deshalb Maria, das heißt das Weibliche oder das Materielle – Menschliche als Viertes zur Ganzheit wieder hinzugenommen (Himmelfahrt). Nach C. G. Jung – aus der Alchemie -bezeichnet die Eins Gott, die Zwei den Unterschied und das Paar, die Drei die Wiedergeburt und den Sohn aus Eins und Zwei und ist die erste männliche Zahl. Die Vier als Zahl, das Quadrat wie auch das Kreuz, ermöglichen den Aufbau eines grundlegenden Koordinatensystems für Zeit und Raum, für Welt und Kosmos. Sie bilden deshalb auch die Basis für viele logisch-geistige Modelle: Die vier Himmelsrichtungen, die vier Winde, die vier Jahreszeiten und daran angelehnt die vier Lebensalter, die vier Elemente, die vier Körpersäfte und die vier Temperamente, die vier Flüsse des Paradieses und die vier Evangelisten (drei Synoptiker und Johannes). Wo man in mythologischen und religiösen Bildern und Symbolen, hermetischen Symbolsystemen etwa der Alchemie oder auch in der Philosophie auf die Vierheit stößt, vor allem auch in gnostischem Denken (Gnosis), geht es darum, eine chaotische Vielfalt (Chaos) durch numinoser Bilder und Eindrücke zu ordnen. Die Quaternität bedeutet Beruhigung durch Ordnung. Deswegen bedient sich Jung häufig selbst eines Quaternitätsmodells, um sich in der Fülle und Vielschichtigkeit universaler Motive, Gestalten, Ereignisse, aber auch der Träume, Fantasien und anderen unbewussten und symbolischen Gestaltungen seiner Patienten orientieren zu können. Das Auftauchen der Vierheit in Träumen und Visionen weißt deshalb auf die Ganzheit hin und ist z. B. auch im Mandala (Mandalasymbolik) enthalten.
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